Montag, 6. Juli 2009
Fête de la Musique I: Orgel - und dennoch lebendig
In verschiedenen Mitteilungen, Einträgen und Kommentaren hier hat OSKAR sich direkt oder durch die Blume über den für seinen Geschmack zu sehr zur Schau getragenen Reichtum vieler Genfer – oder muss es richtiger heißen: neureicher Neu-Genfer? – ausgelassen. Dass Genf als Stadt aber offensichtlich zudem über ein gehöriges Kulturbudget verfügt und dies zum Wohle auch der weniger Begüterten einsetzt, soll nun einmal ausdrücklich gewürdigt werden:
Schon vor einigen Wochen fand die Fête de la Musique statt. Ein riesiges Festival, bei dem von Klassik, Oper, Pop, Jazz, Gospel, Rock bis hin zu Worldmusic, Techno, House und Richtungen, die OSKAR nicht mit Namen zu benennen weiß, für so ziemlich jeden Musikliebhaber von Freitagabend bis Sonntagabend in zahlreichen Konzertsälen, Kirchen, Theatern, Hallen, auf Freiluftbühnen, in Innenhöfen und unter Arkaden, auf Plätzen und in engen Gassen ein Feuerwerk der Musik abgefackelt wurde, dass einem wahrlich das Herz übergehen konnte.

Zu viele Darbietungen haben auf OSKAR Eindruck gemacht, als dass er sie nun alle würdigen könnte. Ein Orgelkonzert in der Kathedrale indes berührte ihn auf besondere Weise. Es war ihm, als würde er in eine andere Dimension eintauchen, von ihr aufgenommen; die Seele sich vom Körper lösen und eingehen in etwas Größeres, Unendliches, von überwältigender, weil größtmöglicher Schönheit und Reinheit Überirdisches. Und ohne, dass er dieses Ende in Kürze schon herbeisehnen würde, so wünscht er sich so den Übergang vom Leben in den Tod: entrückend.
Dass dort in der Kathedrale er seinen letzten Seufzer nicht tat und seine Seele zwischendurch immer mal wieder zurück in die stoffliche Hülle kam, ist vermutlich allein DENJENIGEN zu verdanken, denen OSKAR – völlig unchristlich und dem Orte unangemessen – wünschte, ihr letztes Stündlein hätte bereits geschlagen!! – Es fiel ihm auf, dass Menschen offensichtlich keine Pausen mehr ertragen können, in denen sie für vier Takte der tonlosen Stille ausgesetzt und damit mit sich selbst konfrontiert sind: unterdrücktes Lachen, Unruhe; aber auch während der zum Teil sehr feinen Töne oder der gewaltigen Passagen, die die Macht der Musik und des Orgelwerkes in ihrer ganzen Breite und als eigene Dimension der Welt vor Augen führen, scheint es, als würden Menschen, im akustischen Angesicht dieser höheren Macht nicht kapitulieren und das Relative ihres Bestehens akzeptieren können: hier ein Rascheln des Bonboneinwickelpapiers; dort ein eifriger Leser des Veranstaltungsblattes, der beim Umblättern ebenfalls den Hörgenuss unterbricht; jene tuschelt ihrem Begleiter etwas ins Ohr, der aber schwerhörig ist und laut blökend um Wiederholung des Gesagten ersucht; dieser stellt seinen Fotoapparat ein, was mit diversen Piep- und Linsenverschlusstönen gepaart geht; wieder ein anderer fingert sein Handy aus der Hosentasche, bringt die Kirchenbank zum Knarzen und sein Handy doch nicht zur Ruhe; eine vermutlich enorm pädagogische Mutter erklärt dem sichtlich gelangweilten Nachwuchs im Flüsterton die Anordnung der Buntglasscheiben im Kirchenfenster. OSKAR ist vermutlich sehr empfindlich – doch wenn er, wie eben bei jenem Orgelkonzert, bereit ist und sich in die Lage versetzt fühlt, all’ sein erdenschweres Bestehen für ein paar Minuten hinter sich und seine Seele in diese Dimension heben zu lassen, die ihr durch grandiose Kompositionen und deren ebenfalls grandiose Interpretationen, durch die Töne dieses Instruments geöffnet wird, dann gelingt dies doch nur, wenn nichts ablenkt, es sich bedingungslos nur um eben jene Töne der Musik handelt.

Daher ein Aufruf an die Mamis und Papis: Liebe Eltern, lasst Eure hungrigen, eingenässten oder gelangweilten oder sich aus Langeweile einnässenden, in jedem Fall aber quengelnden Blagen zu Hause, wenn Ihr in ein solches Konzert geht, auch wenn’s gratis ist. Kinder gehören da nicht hin. Für sie ist das langweilig, laut. Für ihre Umgebung nervig, wenn Ihr sie dann mit Möhrchen, Keksen oder gutem Zureden zum Kunstgenuss bestechen wollt.

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