Samstag, 29. März 2008
Blick zurück... und trotzdem Blick nach vorn


Blick in den Strom

Sahst Du ein Glück vorübergehen,
das nie sich wieder findet,
ist’s gut, in einen Strom zu sehen,
wo alles wogt und schwindet.

O, starre nur hinein, hinein,
du wirst es leichter missen,
was dir, und soll’s dein Liebstes sein,
vom Herzen ward gerissen.

Blick unverwandt hinab zum Fluss,
bis deine Tränen fallen,
und sieh durch ihren warmen Guss,
die Flut hinunterwallen.

Hinträumend wird Vergessenheit
des Herzens Wunde schließen;
die Seele sieht mit ihrem Leid
sich selbst vorüberfließen.
(Nikolaus Lenau)



Seit einem guten Jahr nun blickt OSKAR „unverwandt hinab zum Fluss“. Sein Tränenstrom, der sich über die Wangen den Gesetzen der Schwerkraft folgend mit den weit gereisten Wassern vermischt, ist noch nicht versiegt. Der stumme Schrei, der in seiner Erinnerung seit Kindertagen zerreißendste Schmerz verhallen nur ganz allmählich. Wie oft und wie gut erinnert er sich ihrer beider gemeinsamen glücklichen Tage – ob zusammen oder doch durch unsichtbare Bande eng verbunden. Mit einem Federstrich hat sie’s ausgelöscht, weggeworfen, leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Hatte er falsche Vorstellungen von Liebe, war zu pragmatisch, gar zu sicher oder zu liebevoll? Oder ist sie es, die mit ihrer Vorstellung stets andauernder, jungfräulicher Verliebtheit, die sich nicht abnutzt, die stets im Herzen wohnt und den Schmetterlingen fortwährendes Flügelschlagen bereitet, in die Irre gehen wird?
Sie hat sich gegen ihn entschieden. Nach langer Zeit ging sie in wenigen Tagen, abrupt. Dieser kalte Blitz, der ihn durchfuhr, als sie es ihn fernmündlich wissen ließ, der sich zeitlupengleich in die Schädeldecke bohrte und von dort aus langsam durch den Körper fraß und ihn lähmte – er wird ihn nie vergessen, seine Halbwertzeit ist jedenfalls so groß, dass seine bösen Kräfte OSKAR noch stets zu lähmen vermögen. Ein Gedanke von ihm, das Wort eines anderen, eine Situation völlig unbekannter Menschen genügen und alles ist wieder da. Und dann diese unendliche innere Leere, dieses unendliche Weiß, in dem es keinen Anfang, kein Oben oder Unten, keinen Widerstand und keine Zukunft gibt. Nur die immergleich ablaufende Grübelei, das Grämen, das Gefühl, die eigene Liebe verschenkt, nein: verschleudert zu haben.
Und sie? Hat das Leben ausprobiert, so sagt sie. Wollte einfach mal ‚Sein‘, wie ein Teenager das Leben erleben – mit 27. OSKAR zahlt(e) den Preis dafür, sie fand eine neue Liebe, von der sie sagt, sie „wisse und spüre, dass es gut ist“. Es schmerzt OSKAR, dass sie ehrlich zu glauben scheint, dass sie ihn lieben wollte, kopfgesteuert ihn geliebt habe, aber eben nicht auch das Gefühl gehabt habe, er sei der Richtige. Wie sehr sie ihr eigenes Liebenerleben in so ungezählten Stunden Lügen strafen. Aber es ist nicht an ihm, darüber zu urteilen. Es ist an ihm, sein Leben zu leben, den Blick in die Ferne zu richten – nach vorn. Die Schwermut überwinden. Ob er jemals wieder Leichtigkeit wird empfinden können, mit der er noch vor wenigen Monaten durch das Leben schweben konnte?

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