Montag, 12. Oktober 2009
Mottenkisten
OSKAR war am Wochenende auf Heimaturlaub. Seine Eltern freute es – nicht nur, weil sie ihres Sohnes mal wieder ansichtig wurden, sondern somit wussten, dass sie ihn verpflichten konnten. Wiewohl in ihrem Keller von OSKAR höchstens, aber allerhöchstens noch zwei oder drei – gut, allermaximalst vielleicht vier oder fünf Kartons mit „Kram“, jedenfalls nicht mehr als sechs oder sieben Kisten stehen, verdonnerten sie ihn unter Androhung von Prügel, Folter, Enterbung und Zwangsverheiratung ins verhasste Nachbardorf zu sofortiger Fronarbeit: aufräumen! OSKAR wollte noch verhandeln, erkannte aber schnell, dass in einem solchen klassischen Eltern-Sohn-Verhältnis nix zu wollen ist; wenn sich zwei verbündet haben und in den wertvollsten Erinnerungsstücken des vorgeblich geliebten Sohnes kaum mehr als Plunder zu erkennen vermögen. IGNORANTEN! – Die gesammelten Werke umfassen herrliche Erinnerungen!

Im Übrigen war es doch so, dass OSKAR immer schön lernen sollte und so weiter. Das Ergebnis des Lernens hat er ebenso schön archiviert. Da kommt eben während 13 Schuljahren und ebenso vielen Semestern an der Uni der ein oder andere Ordner zusammen.
Wenn also mal jemand ein Referat zu Dorothea Christiana Erxleben hätte halten sollen, hätte der Griff in Kiste Nummer acht gereicht; in der lagen die entsprechenden Unterlagen des Geschichtskurses. LAGEN, denn nun ist das alles zu schnödem Altpapier degradiert und wird vom Wertsoff-Recylceunternehmen bald zu dreilagigem Toilettenpapier, Füllmaterial für Versandtaschen oder als Feuerungsbeigabe in Müllverbrennungsanlagen ein trauriges Ende finden.

Historiker, der er ist, wusste OSKAR aber selbstverständlich, besonders wertvolle Stücke mit lexikalischem und vermutlich bald musealem Wert zu erhalten: sein in der achten Klasse mühsam erstelltes Herbarium. Einige Leser werden nun lachen. – Dann beschreiben Sie doch mal so ganz hoppla-hopp die Form eines Holunderblatts! Na????! Sehen Sie!!

Schließlich fanden sich amtlich beglaubigte Zeugnisse seiner Sportlichkeit! Diese will OSKAR seinen künftigen Biografen nicht vorenthalten. Wenn dereinst seine Leibesfülle auf ein vielfaches seines heutigen adonisgleichen Körpers angewachsen sein wird, werden diese drei Siegerurkunden* (Leichtathletik) für die „erfolgreiche Teilnahme“ an den Bundesjugendspielen der Jahre 1986, 1987 und 1988 zwar stumme, aber absolut unbestechliche Zeugen seiner Sportlichkeit sein.

Gute alte Zeit. Und dennoch fiel es OSKAR erstaunlich leicht, einen Großteil der aus jenen Tagen rührenden Schriften und Erinnerungen auszusortieren, wegzuwerfen. Möglicherweise auch ein Prozess der Emanzipation. Er ist sich übrigens sicher, dass bei seinem nächsten Besuch im elterlichen Haus der frei gewordene Raum von seinen vordem Erziehungsberechtigten mit Krempel vollgestellt sein wird. Seine gelegentlichen Hinweise, dass er das ganze Zeug irgendwann nach Erbschaft des Häuschens aufräumen müsse, begegnen sie immer mit einem süffisanten Lächeln und dem Hinweis, dass ihnen das bewusst sei: dies sei ihre späte Rache an einem ehedem zuweilen ungenießbaren Kind… Wie gut, dass sie inzwischen alle miteinander ein sehr entspanntes und herzliches Verhältnis pflegen! Was sonst würden sie sich als Erbsünde für ihn einfallen lassen!!

(* Bis heute versteht OSKAR nicht, warum seine Klassenkameradin N.T. eine Ehrenurkunde geschafft hat! Da war garantiert Bestechung im Spiel! Die war langsamer, konnte weniger weit werfen (was gegenüber OSKARs Wurfkünsten auch eine Leistung darstellt!) und war überhaupt blöd!)

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