Samstag, 30. November 2013
Dunkle Seite des Tadellosen
Hin und und wieder verlässt OSKAR seine Stadt am großen Fluss und fährt in eine große Stadt mit Fluss, um abgeschieden und aller aufwühlenden und ablenkungversprechender Alltäglichkeit entrückt, in einem modernen Tempel des Wissens sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Das gelingt gut, er fühlt sich dort ebenso geborgen wie tatsächlich im Geiste frei, um Gedanken zu durchdenken. Ein wunderbarer Ort, einer der ihm ganz besonderen Orte. Und dennoch kehrt er in OSKAR, dem sonst so Tadellosen, dessen dunklen Seiten hervor!

Bei aller Begeisterung OSKARs für diesen Ort kontrastiert dieser mit dem dieser Stadt eigenen Geist der Rotzigkeit. Die einen sprechen von einem eigenen "Charme", OSKAR empfindet die Vorstellung eher unangenehm, dass Deutschlandtouristen also ein Bild dieses Landes mitnehmen, das entweder (oder gar in Kombi) aus literweise biersaufenden, Zuckerbäckerstil-Schlösser bauenden Lederhosenträgern oder aus in Stil und Ausdruck an Rotzigkeit kaum zu überbietenden - und im Übrigen auch Schlösserwiederaufbauenden - Hauptstädtern besteht.* Mais bon.

An jedenfalls diesem Ort der Bücher nun fällt OSKAR zweierlei auf: obschon gerade erst neu eröffnet und dem Bau entsprechende moderne, nicht misszuverstehende Elemente der Benutzer_innen-Führung (was ist wo, was ist erlaubt und was nicht?) beigegeben wurden, sind in bester Behördenmanier, welche in der Tradition aus mit Linoleumauslegware versehenen Büros, deren Fenster mit grobgewirkten grün oder gelb-orangefarbenen Fenstervorhängen und einer etwas verloren wirkenden Topfpflanze auf Schreibtisch oder Fensterbank steht, überall laminierte Verbotsschilder barschen Tonfalls aufgeklebt: "Kein Durchgang!", "Durchgang nur für Personal!", "Tür aus Sicherheitsgründen schließen", "Es sind nur Bleistifte zu verwenden", ...

Direkt fühlt sich der Besucher, OSKAR zumindest, als potentielle Gefährdung, gar als mögliclher Terrorist, der diesen von Behördengeist durchwaberten oder gar von ihm kontrollierten Ort als solchen stören, infrage oder sonstwie beeinträchtigen könnte.

Offenbar wird dies, wenn, wie jüngst geschehen, OSKAR sich nicht in jedem Detail regelkonform verhält. So ist's ihm passiert, bei der Buchrückgabe einen dieser farbigen, minikleinen, sich rückstandsfrei wieder abzulösen lassenden Klebestreifen, welche zu Markierungen von Stellen in einem Buch produziert und verwendet werden, in eben einem Buch (Jahrgang 2008) zu belassen. Einen! In pink lugte er zwischen den Buchseiten hervor.
In einer so nicht zu erwartenden Heftigkeit sah er sich blitzschnell einer rüde vorgetragenen Rüge ausgesetzt. Den hiesigen Humor nicht richtig einschätzend, verkniff er sich die Frage, wie häufig solcherlei Vergehen geduldet würden, bis er - in Erinnerung an vergleichbare Strafarbeiten in der Schule, wo er übrigens NIE einen Eintrag ins Klassenbuch wegen tadeligen Verhaltens erhielt! - zehnmal und handschriftlich die Benutzerordnung würde abschreiben müssen. Die behördliche Gewalt in femininer Rotzigkeit der Großstadt indes fühlte sich in ihrer gesamten Autorität von diesem wenige Quadratzentimenter großen Stück Pink indes offenbar so herausgefordert, dass OSKAR den Tadel kassierte. Und schwieg. Und den Klebestreifen nach dann doch kurzer Diskussion entfernte: "Wo kämen wir denn dahin, wenn das alle machen?" "Das sind nunmal die Regeln!" "Ich muss mich auch an die Vorschriften halten!" - Noch Fragen?

Dann eine neue Auffälligkeit: Von der Seite sich anpirschend einer der offenbar angestellten Oberaufseher. OSKAR hatte ihn schon mehrfach auf der zweiten Gallerie stehen und von dort prüfend die emsig leise Arbeitenden beobachten und ihn später durch die Reihen der lesend Tippenden gehen sehen, um auf nicht benuterordnungskonformes Verhalten aufmerksam zu machen. Gestern auf einmal stand er: neben ihm selbst.

Stumm schob er ihm einen der - allerdings nicht laminierten - Zettel zu. In mindestens Schriftgröße 20pt stand dort zu lesen, was wohl oder nicht mit in den Lesesaal genommen werden dürfe. Unter anderem: "Leuchtstifte, die geeignet sind, Texte zu markieren". OSKAR war erkannt, ertappt, entlarvt als Bösewicht: neben ihm lag ein handelsüblicher "Leuchtstift, geeignet" - und zuvor von ihm tatsächlich auch dafür verwendet - "Texte zu markieren". Nicht pink. Aber gelb.

Entschuldigung. Blöd natürlich. Wer bescheißt, sollte sich nicht erwischen lassen. Normalerweise steckt OSKAR den Stift immer sofort wieder in Hosentasche, Schuh oder verschluckt ihn nach Gebrauch. Nur dieses eine Mal... Anyway. - Der Oberaufseher zog von dannen. Zuvor aber mahnte er, und OSKAR hörte sehr wohl die Drohung, die damit einherging: "Ich werde Sie beobachten." - Nun, Vergleiche verbieten sich. Aber wo haben eigentlich all' die Beobachter, die in der DDR tätig waren, ihre, wie es im FDP-Deutsch heißt, "Anschlussverwendung" gefunden?

Sollte OSKAR sich eines dritten Vergehens schuldig machen, davon ist er absolut überzeugt, wird er weggesperrt. Ohne Frage wird es in diesem riesigen Gebäude irgendwelche Geheimgefängnisse, Zellen der Reflektion, geben, in denen er zur Läuterung finden wird.

* Der Korrektheit halber sei ergänzt, dass der Rotzigkeit in diversen Stadtvierteln noch die bräsige Blasiertheit zugewanderter chicer McBook-Individualisten, die weder lächeln oder gar eine Tür aufhalten wollen zur Seite steht.

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Dienstag, 10. September 2013
Umdrehungen
OSKARs OSKARINE hat gebacken. Pflaumenkuchen. Der ist lecker. Noch leckerer wird's, wird er mit Schlagsahne serviert und genossen. Als Nachtisch sollte es für beide gestern Abend Pflaumenkuchen mit Schlagsahne geben. Obschon müde und erschöpft nach einem langen Tag mühevoller Qual und Tat, mobilisierte OSKAR alle ihm noch verbliebenen Kräfte und machte sich daran, das weiße luftig-süße Schaumcremeetwas zuzubereiten. - Die OSKARINE telefonierte derweil. ER ist nach wie vor überzeugt, dass SIE garantiert (!!) ihre sonst nur höchst selten sich telefonisch meldende Freundin dazu gebracht hat, just zu dem Zeitpunkt anzuklingeln, da die Frage der Sahnezubereitung Thema wurde und damit auf den Tisch kam. Frauen können sowas per Telepathie. Das Telefonat jedenfalls dauerte ziemlich genausolange wie der Akt des Sahneschlagens.

Sahne in das dafür vorgesehene Sahneschlaggefäß gefüllt, die Rührbesen ordnungsgemäß im Sahneschlaggerät (gleicher Hersteller wie der des Sahneschlaggefäßes!) eingeführt und verankert. Hernach die Verbindung zum Stromkreis durch einstöpseln des Steckers hergestellt. Die Rührbesen taten dann auch wunderbar ihren Dienst, und aus der flüssigen Sahne wurde alsbald das, was schließlich zur Krönung des Kuchens gereichen sollte. Fluffig, nicht zu fest und schön süß: Dr. Oetker lässt grüßen.
Indem nun die fluffig-süße Masse im Becher war, galt es, das Gerät wieder sachgemäß ... - OSKAR weiß nicht recht, welches Wort hier korrekterweise zu verwenden ist; bei Atomkraftwerken heißt es in solch einem Fall wohl zurückbauen.
In froher und begeisterter Erwartung des verlockend duftenden Kuchens und der nachgerade perfekt geratenen Sahne war OSKAR indes unaufmerksam in seinem Tun. Der Rückbau des Geräts erfolgte daher nicht hundertprozentig sachgemäß. Die Quittung kam unmittelbar - bei Atomkraftwerken würde man von einem Super-GAU sprechen: indem er den Druckknopf zur Lösung der Rührbesen betätigte, um diese dem Ablecken, Abwasch und hernach der Zwischenlagerung zuzuführen, tat er dies motorisch ungenau und setzte die SCHEISSDINGER erneut in Aktion. Im Gegensatz zu einem Atomkraftwerk sind die wieder sofort voll in Aktion. Da die Rührbesen sich zu diesem Zeitpunkt bereits außerhalb des zum Schlagen der Sahne vorgesehenen Gefäßes befanden, waren sowohl er selbst als auch weite Gebiete der Küche dreidimensional mit dem Fallout der sich zunächst in großer Menge noch an den Rührbesen befindenen Sahne besprenkelt. Abzulecken hatte OSKAR hernach nichts mehr - er bevorzugte den Wischlappen zum Säubern der kontaminierten Gebiete, während er gepflegt und in bester westfälischer Manier vor sich hinfluchte hingrummelte.

Der Kuchen hat dann geschmeckt. Trotz des fetten Grinsens der OSKARINE!

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Dienstag, 6. August 2013
Herr Z. ist nicht mehr
Im Haus in der Straße in der Stadt am großen Fluss, in welchem OSKAR nun schon seit über zwei Jahren erfolgreich wohnt, gibt es acht Wohneinheiten. Wären die beiden "Einheiten" im Souterrain nicht, könnte man von Wohnungen sprechen. Da unten hat's allerdings eher Höhlencharakter. Dort wohnen Technofreak und Dr. Seltsam. Das wäre eine andere Geschichte.
Das Gegenstück zu Technofreak ist Herr Z.
Herr Z. wohnt schon länger hier als irgendjemand sonst im Haus. Auch der Vermieter weiß nicht, wann Herr Z. hier eigentlich eingezogen ist. Alleinstehend, rechtschaffen, gebückt vom Alter und schwer zu Fuß. Der kleine Mann war stets auf Achse; morgens verließ er das Haus früh, abends kam er häufig erst gegen 22.00 Uhr zurück. Das gleichmäßige Tok-tok seines Gehstocks kündigte ihn bei offenstehendem Fenster meist schon von Weitem an. Er war ein Charakter; nicht einfach, aber doch auf seine Weise liebenswürdig. Zudem war er es, der im Winter den Schnee wegräumte, die Mülltonnen an die Straße stellte und die Zwischenräume des Treppenhausgeländers mit einem Putzlappen sorgfältig vom Staub befreite. Hin und wieder bekamen die übrigen Hausbewohner eine verbale Abreibung, dass sie alles ihn machen ließen. Wie aber ihm verständlich machen, dass, wenn die Mülltonnen bereits um 14.00 Uhr von ihm an die Straße gerückt werden, die arbeitende und erst gegen 17.00 Uhr oder später heimkehrenden Werktätigen dann keine Chance mehr hätten...?!
Vor einem guten halben Jahr hatte Herr Z. in unmittelbarer Nachbarschaft einen Schwächeanfall; OSKAR und die Seine fanden ihn. Danach ging es beständig bergab. Obschon von ihm aufgrund dieses Zwischenfalls in den "Schutzengel"-Stand erhoben, konnten auch die beiden seinen rasch zunehmenden Verfall nicht mehr aufhalten. Bald darauf setzte ein Pendeln zwischen Krankenhäusern und Pfelgeheimen ein. Im Haus sahen und hörten wir nichts mehr. Herrn
Z.'s Angehörigen blieben trotz Nachfragen stumm. Er fehlte.

Jetzt ist Herr Z. gestorben. Eher zufällig erfuhren OSKAR und seine Nachbarn in der vergangenen Woche von seinem Tod: Die Angehörigen, zweifellos tüchtige Menschen und eifrig, teilten dies nicht als eigentliche Nachricht mit, sondern im Zuge der Nachfrage, wie der Vermieter zu erreichen sei, ob es möglicherweise Wohnungsinteressenten gebe - es sei schließlich schon viel zu viel Miete für die Wohnung gezahlt worden - , und dass sie nun sehr viel Arbeit mit dem Aufräumen hätten, weil er so unordentlich gewesen sei.
Letzteres erscheint zumindest fragwürdig. Bei einer nachgerade aufgenötigten Wohnungsbesichtigung zeigt sich, dass er ein Sammler war und ein Vorsorger (etwa 20 frisch verpackte Zahnbürsten, 30 kg Waschpulver und dergleichen mehr). Aber alles aufgeräumt und sortiert. Vielleicht war nicht alles blitzeblank geputzt; aber das ist's bei OSKAR auch nicht und zeugt doch vom Leben?!
Heute räumt ein "Entrümpelungsunternehmen" das Leben von Herrn Z. auf: der größte Teil an Fotoalben, Ansichtskarten, Garderobe, Nippes, Vorräten und all jenen anderen Dingen, die ein Leben materiell ausmachen, wird zusammen in einen großen grünen Container "Entsorgung und Verwertung von Abfall" geworfen. Ein Leben wandert auf den Müll.

Herr Z., wir werden Sie nicht vergessen!

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