Dienstag, 6. August 2013
Herr Z. ist nicht mehr
Im Haus in der Straße in der Stadt am großen Fluss, in welchem OSKAR nun schon seit über zwei Jahren erfolgreich wohnt, gibt es acht Wohneinheiten. Wären die beiden "Einheiten" im Souterrain nicht, könnte man von Wohnungen sprechen. Da unten hat's allerdings eher Höhlencharakter. Dort wohnen Technofreak und Dr. Seltsam. Das wäre eine andere Geschichte.
Das Gegenstück zu Technofreak ist Herr Z.
Herr Z. wohnt schon länger hier als irgendjemand sonst im Haus. Auch der Vermieter weiß nicht, wann Herr Z. hier eigentlich eingezogen ist. Alleinstehend, rechtschaffen, gebückt vom Alter und schwer zu Fuß. Der kleine Mann war stets auf Achse; morgens verließ er das Haus früh, abends kam er häufig erst gegen 22.00 Uhr zurück. Das gleichmäßige Tok-tok seines Gehstocks kündigte ihn bei offenstehendem Fenster meist schon von Weitem an. Er war ein Charakter; nicht einfach, aber doch auf seine Weise liebenswürdig. Zudem war er es, der im Winter den Schnee wegräumte, die Mülltonnen an die Straße stellte und die Zwischenräume des Treppenhausgeländers mit einem Putzlappen sorgfältig vom Staub befreite. Hin und wieder bekamen die übrigen Hausbewohner eine verbale Abreibung, dass sie alles ihn machen ließen. Wie aber ihm verständlich machen, dass, wenn die Mülltonnen bereits um 14.00 Uhr von ihm an die Straße gerückt werden, die arbeitende und erst gegen 17.00 Uhr oder später heimkehrenden Werktätigen dann keine Chance mehr hätten...?!
Vor einem guten halben Jahr hatte Herr Z. in unmittelbarer Nachbarschaft einen Schwächeanfall; OSKAR und die Seine fanden ihn. Danach ging es beständig bergab. Obschon von ihm aufgrund dieses Zwischenfalls in den "Schutzengel"-Stand erhoben, konnten auch die beiden seinen rasch zunehmenden Verfall nicht mehr aufhalten. Bald darauf setzte ein Pendeln zwischen Krankenhäusern und Pfelgeheimen ein. Im Haus sahen und hörten wir nichts mehr. Herrn
Z.'s Angehörigen blieben trotz Nachfragen stumm. Er fehlte.

Jetzt ist Herr Z. gestorben. Eher zufällig erfuhren OSKAR und seine Nachbarn in der vergangenen Woche von seinem Tod: Die Angehörigen, zweifellos tüchtige Menschen und eifrig, teilten dies nicht als eigentliche Nachricht mit, sondern im Zuge der Nachfrage, wie der Vermieter zu erreichen sei, ob es möglicherweise Wohnungsinteressenten gebe - es sei schließlich schon viel zu viel Miete für die Wohnung gezahlt worden - , und dass sie nun sehr viel Arbeit mit dem Aufräumen hätten, weil er so unordentlich gewesen sei.
Letzteres erscheint zumindest fragwürdig. Bei einer nachgerade aufgenötigten Wohnungsbesichtigung zeigt sich, dass er ein Sammler war und ein Vorsorger (etwa 20 frisch verpackte Zahnbürsten, 30 kg Waschpulver und dergleichen mehr). Aber alles aufgeräumt und sortiert. Vielleicht war nicht alles blitzeblank geputzt; aber das ist's bei OSKAR auch nicht und zeugt doch vom Leben?!
Heute räumt ein "Entrümpelungsunternehmen" das Leben von Herrn Z. auf: der größte Teil an Fotoalben, Ansichtskarten, Garderobe, Nippes, Vorräten und all jenen anderen Dingen, die ein Leben materiell ausmachen, wird zusammen in einen großen grünen Container "Entsorgung und Verwertung von Abfall" geworfen. Ein Leben wandert auf den Müll.

Herr Z., wir werden Sie nicht vergessen!

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