Freitag, 3. Oktober 2008
Umgeschaut auf Reisen
OSKAR ist norddeutsch. Für ihn liegt Köln in Süddeutschland und infolgedessen startete er seine Deutschlandrundfahrt im Norden der südlichen Deutschlandhälfte: in Köln. Nur vordergründig besuchte er Freunde, wie sonst hätte er seine Abstecher nach Hessen, Baden-Württemberg und Bayern vor seinen norddeutschen Freunden zu rechtfertigen vermocht?!

Einem (noch) rein bundesdeutschen Eisenbahnunternehmen, Marktführer in Sachen Schienenverkehr wie auch in Sachen Serviceüberraschungen, unermesslich große Beträge seines gesparten Vermögens in die Kassen spülend, dafür dann allerdings auch die weiß-roten und nicht die rot-weißen Züge besteigend, machte sich OSKAR auf den Weg.

Ob OSKAR nun durch einen gewissen Hang zur Morbidität oder durch den Wunsch nach besinnlicher Stille in diesem von gewöhnungsbedürftiger rheinischer Sprachkultur geprägten Hortes permanent verbal kommunizierender kölscher Menschenkinder der Domstadt hinter die Ruhe versprechenden Mauern des Melaten-Friedhofs gezogen wurde, vermag er nicht mehr zu sagen. Fest steht, dass es mit der Ruhe auch hier nicht weit her war. Es debattierte das Ehepaar, wie die Herbstastern drapiert werden müssten und dort stellt Kindermund fest, „dat de Omma ene scheene Grapp jefunden hähd“. Trotz alledem war es ein Ort der Einkehr, der Besinnung. Alte Grabstätten, Steininschriften und das wunderbare Leuchten einer spätnachmittäglichen Herbstsonne ließen OSKAR innehalten, verweilen. Seine Gedanken gingen bald hier hin, bald dort hin; sie fanden Raum und waren kaum begrenzt von dröhnenden Alltagsüberlegungen. Natürlich kamen ihm – wie so oft in den zurückliegenden 18 Monaten – auch Erinnerungen an eben solche Momente mit der von ihm so geliebten Frau. Aber nicht mehr sie war es, die ihn all’ die Zeit bedrängte. Vielmehr drängten sich ihm an diesem Ort Eindrücke von und Fragen nach dem Tod, von Vergänglichkeit und der „Existenz der Toten in der Erinnerung der sie Überlebenden“ auf.
An einem Gräberfeld zum Gedenken an Menschen, von denen die Kriegsmaschinerie vor nunmehr über 60 Jahren kaum mehr zurückließ als eben die Erinnerung an sie, sieht OSKAR klar wie selten, dass seine Jugend nicht von anderen verpfuscht wurde oder er für wirres, irres Gedankengut einiger ideologisch verblendeter Psychopathen sein Leben geben musste – er war mit 18 wohl noch mehr Kind als Mann. Wie wäre ihm Bange ums Herz gewesen, hätte er fern der Heimat einen Kampf kämpfen müssen, der nicht der seine gewesen wäre, sich der Ausweglosigkeit und des wohl sicheren Todes bewusst... So waren es schließlich Gräber von Kindern, kaum vier oder fünf Jahre alt, die ihn auf sein eigenes Leben zurückschauen ließen – alles in allem doch schon recht reich an Erfahrungen, Lehren, Begegnungen, Freundschaften, Krisen und Freuden. Natürlich mag da noch viel Gutes und weniger Gutes auf ihn warten, aber in den vergangen Monaten hat OSKAR es verstanden, Gelassenheit und Zufriedenheit als Idealen zu begegnen. Es ist ihm daraus zugleich eine Demut vor dem Leben erwachsen, die ihn ebenso auf das noch Unbekannte in der Zukunft gespannt sein lässt, wie er zugleich dankbar auch zurück blicken kann.
Wie ein nachgerade spürbarer Schlag in die Magengrube traf es ihn, als er nur wenige Meter weiter zu einem Grab gelangte, dass von deutsch-bürokratischer Gründlichkeit (denn auch im Sterben und im Tode muss eben alles seine Ordnung haben – wo kämen wir hin, wenn da jeder machen würde, was er wollte!) erfasst und bearbeitet worden war:


DAS NUTZUNGSRECHT ABGELAUFEN – DIE GRABSTÄTTE WIRD ABGERÄUMT

Wenigstens wurde der Tote nicht aufgefordert, ordnungsgemäß und unter Angabe der künftigen Liegestätte zu einem bestimmten Datum das Terrain zu verlassen.

Grabstätte wird abgeräumt – es waren zum Teil beachtliche, imposante, monumentale und Grabmale, die den Toten oder wohl zum Teil auch ihren Angehörigen zur Ehr’ gereichen sollten, von Macht, Einfluss oder sonstiger weltlicher Bedeutung Zeugnis ablegten. Neben diesen steinernen Malen nehmen sich die schlichten Holzkreuze nahezu unbedeutend aus. Doch was für einen Unterschied macht es für die Toten: Was schlussendlich von uns allen bleibt - ein Aufkleber der Friedhofsverwaltung… Deutsche Bürokratie als große Gleichmacherin zwingt all’ die Erinnerung auf ein humanes Maß: das Angedenken, das nur in den Köpfen und Herzen stattfindet. Beruhigend irgendwie.

Nichtsdestotrotz musste OSKAR auf seiner Reise auch herzlich lachen – Leben und Tod liegen manchmal so dicht beieinander, und das Leben mit seinem Lachen auch an diesem Ort ist stärker als der Tod. Ziemlich direkt neben dem Ausgang der Aussegnungshalle/Friedhofskapelle mehrere große Mülltonnen, grün und mit einem Aufkleber in leuchtendem Orange:

VORSICHT! KEINE HEISSE ASCHE EINFÜLLEN

– Was liegt angesichts solch einer Situation näher, als sich in etwa folgenden Dialog vorzustellen:
A: „Gucke mal - da kannse Ommas Asche gleich rintun“
B: „Uh, wart’ ma noch enne Moment. Is’ noch zu heiß vielleicht.“
A: „Au, jood, datte das gesehen has…!“
B: „Weisse Bescheid…“

Der Vorteil dabei, das muss OSKAR der Friedhofsverwaltung wirklich neidlos zugestehen, es entstehen keine nutzungsrechtlichen Probleme. Solange die Asche eben erkaltet ist… Wenngleich auch praktischer, so sind Grabstätten manchmal eben auch Ausdruck besonderer Beziehungen, wie in diesem Fall:

Dies lesend, war OSKAR für den Rest seines Aufenthaltes mit dem rheinisch-kölschen Schnabel versöhnt. Nirgendwo sonst hätte ein letzter Gruß derart liebevoll und wahrhaftig sein können!


OSKARS nächste Station lag im Süden – tief im Süden: München und eine dortige Freundin. Beide hatte er lange nicht gesehen. Die eine 16 Jahre nicht – abgesehen von einem kurzen Aufenthalt– die andere immerhin auch seit fünf Jahre nicht. Und doch war zu letzterer per direkt wieder dieser gute Draht. Es war ein schöner Aufenthalt, herzerfrischend und mit Einsichten ins wahre Leben – illusionsfrei. Gerade so, wie es eben zugeht, wenn jemand seit einigen Jahren Beraterin für Menschen in schwierigen Situationen ist. Wobei diese Situationen meist irgendwie mit zwischenmenschlichen Fehltritten und Tragödien zusammenhängen. OSKAR dachte manches Mal danach, dass die Menschen doch insgesamt schlechter sind als er lange glauben wollte. Ob er ein Engel ist?

Neugierig auf eine Stadt, unter der sich OSKAR so gar nichts vorstellen konnte, reiste er zur Wochenmitte nach Hessen. In der Landeshauptstadt, in welcher der Brunnen auf dem Platz vor der Staatskanzlei in weiser Voraussicht und vorab so benannt wird wie der derzeitige Landesvater. Es war der kulturelle Höhepunkt seiner Reise: Konzert, Theater, Museum und ausgedehnter Spaziergang mit Besuch der russisch-orthodoxen Kapelle und des dazugehörigen Friedhofs.


Viel zu berichten gibt es nicht – besonders beeindruckend fand OSKAR allerdings die architektonische Baukunst im Museum, deretwegen ein Besuch sich in diesem Gebäude lohnt. Insbesondere die streng symmetrisch angelegten sanitären Anlagen hatten es ihm angetan…



Es war eine gute Reise. Und so schlimm ist der Süden nicht. Wenn eine Bedingung eingehalten wird: das Wissen, man kann wieder in den Norden fahren!




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Mittwoch, 24. September 2008
Die ständige Wiederkehr
Manchmal geht's im Leben komisch zu: Nachdem OSKAR am Montag in der Mensa (mal wieder) seiner Ex ansichtig wurde und still bei sich dachte, dass sie ja doch ziemlich attraktiv aussehe, abends dann ein neues Kapitel in seinem persönlichen 'Roman von Liebe und Leid': In SEINEM Supermarkt - sie wohnt ganz woanders - dreht sich, während er gedankenverloren durch die Gänge schiebt, auf einmal eine Frau um, strahlt und begrüßt ihn. "J.! Was will die denn hier?" OSKAR begrüßte sie und schiebt hinterher, dass sie ja in 'fremdem Revier' wildere. "Jaja, das hat sich so ergeben." Weist mit der Hand auf einen Typen etwas neben ihnen beiden: "Darf ich dir J*** vorstellen?" - Grandios. Nein. OSKAR will den gar nicht kennenlernen. Allein schon der Name. J***! Er reicht dem jungen Mann artig die Hand, sagt: "Hallo". Der Typ sagt: "Schön, dass ich Dich mal kennenlerne." Die Freude, das sei allen Lesern hier versichert, war äußerst einseitig! Blöd nur, dass er ganz sympathisch wirkte. OSKAR hätte eigentlich ein neutrales "Aha" loswerden wollen, stattdessen merkte er, wie ihm Knie und sein ganzer Körper überhaupt anfingen zu schlottern. Das hat das junge Glück (hoffentlich) nicht mitbekommen. OSKAR jedenfalls beeilte sich, seine Sachen in den Einkaufswagen zu werfen - ab zur Kasse und weg.

Permanent tritt sie an erwartbaren und überraschenden Momenten in sein Leben. OSKAR hat das über. Einem bekannten Auslandsgeheimdienst einer großen nordamerikanischen Nation sagt man nach, er biete Entführungen an. Die Raumfahrtorganisation des gleichen Landes bietet Flüge zum Mond. Kann man da etwas als Paketangebot buchen??? Sie soll sich aus seinem Leben verp***en. Er hat die Schnauze gestrichen voll. Sie vergnügt sich und macht trala-la-la, derweil OSKAR versucht, wieder Boden unter die Füße zu kriegen. - Egozentrisches, einfühlungsvermögensamputiertes Wesen! Wieso ist die Welt zuweilen so hart gegen Menschen, die doch versuchen, gut zu sein???

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Samstag, 6. September 2008
Nacht-Gedanken
Oskar fährt durch die Straßen dieser Nacht
Was ihn bedrückt? - Die Einsamkeit!
Wo ist das Leben light?
Lachen, Balgen, Schweben - Tanz im Regen?

Schwermut wühlt ihn auf - und drückt ihn nieder.
Kehrt die Liebe jemals wieder?

Der Blick umher zeigt Paare, Rosarotes, Küssen,
wird sein g'schundnes Herz für immer warten müssen?
Ist es bereit zum Neubeginn? Zum Lösen alter Bilder?
Oder ist alles Gewesne Gold, alles Neue höchstens Silber?

Reicht's zum neuerlichen Traum vom großen Glück?
Oder sind's verspielte Triebe ohne Chance?
Bloßer Wunsch?

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