Freitag, 18. Dezember 2009
Rosa Weihnachten
In der Vorweihnachtszeit gibt es viel zu tun. Grüße backen, Kekse basteln, Deko kaufen und Geschenke schreiben. Und Gutes tun. In der Stadt am großen Fluss gibt es – die Medien stürzen sich leider nur dann darauf, wenn es zu dramatischen Szenen mit tödlichem Ausgang kommt – viele Menschen, die weit davon entfernt sind, ein sorgenfreies Leben zu führen. Geld ist zwar auch hier längst nicht alles, aber wer in Armut lebt, dem erscheint ein solcher Satz wie blanker Spott: Wie bitter muss es sein, dem eigenen Kindern Mal um Mal erklären zu müssen, dass für das Eis kein Geld da ist, dass es den Schulausflug nicht mitmachen kann, weil kein Geld da ist, dass es immer nur von anderen Kindern abgelegte Garderobe tragen kann, weil kein Geld da ist, dass es nicht mit der Familie in Urlaub fahren kann, weil kein Geld da ist. Wie gut ist es, dass es engagierte Menschen gibt, die diesen Familien zur Seite stehen, sie nicht in die gesellschaftliche Isolation drängen, sondern mit kleinen Gesten, persönlichem Tun und Mitmenschlichkeit der Armut ins Gesicht sehen. – Eine Gruppe dieser Menschen hat sich zusammengeschlossen und einen Verein gegründet. Er hat Weihnachtsbäume aufgestellt – überall in der Stadt am großen Fluss. Geschmückt sind sie mit Wünschen von Kindern aus Familien, die jeden Eurocent, den sie nicht haben, dennoch zweimal umdrehen müssen. Beim Lesen dieser Wünsche wären OSKAR hie und da fast die Tränen gekommen. Neben dem Supernintendohastdunichtgesehen nämlich lauteten sie „eigenes Kuscheltier“, „ein Nachmittag mit Mama und Papa auf der Schlittschuhbahn“ oder auch „Malbuch“.
Großartig fand OSKAR nun aber die Möglichkeit, sich einen Wunsch vom Baum pflücken zu können und als Weihnachtsmann genüsslich für – in seinem Fall – die kleine L. shoppen zu gehen. Nie hat er bei einem Weihnachtseinkauf mehr Sinn in seinem Tun gesehen.
Madame wünscht sich einen Puppenwagen. OSKAR ist kinderlos, und auch in seinem Umfeld wird in der Regel nicht mehr mit Puppen gespielt, die noch in von Kinderhand geschobenen Wägelchen zu verstauen wären. Die etwas behäbige Verkäuferin war äußerst gutmütig und wies Züge einer wohlwollenden Großmutter auf, die in der Spielzeugabteilung des großen Warenhauses eine Bestbesetzung war. Wäre sie nicht gewesen: OSKAR wäre glatt verzweifelt. Nicht nur des enormen Angebots wegen, sondern zudem auch noch alles ROSA. OSKAR findet diese, nun ja, Farbe eine mit Signalcharakter, die bei ihm normalerweise Fluchtreflexe auslöst. Indes, Frau K. konnte ihm glaubhaft versichern, dass die meisten Mädchen ROSA ganz ungemein großartig finden. Den inneren Widerstand überwindend, lud er sich also den Puppenwagen in kreischschreiendstem ROSA in die Tüte, verpackte ihn hübsch und hat ihn nun auf den Weg gebracht, die kleine L. damit beglücken zu lassen.

Allen Kampfemanzen, pädogischen Supernannies und sonstigen Heiopeis, die meinen, anderen exakt erzählen zu müssen, was warum nicht oder doch gut sei, das man Kindern schenken dürfe und die nun einzuwenden sich anschicken, so ein Puppenwagen, rosa allzumal, verfestige Rollenbilder, ja präge sie geradezu und verdamme die kleine L. damit zur frühkindlichen Ausprägung eines Selbstwertgefühls, das sich aus dem Mutterdasein speist, all denen sei gesagt: Jawoll, der Puppenwagen sieht aus wie ein echter, nur in klein und eben rosa. OSKAR hatte überlegt, eine Dose blauer Farbe beizulegen für den Fall, dass L. eine männliche Puppe gedenkt hineinzulegen und damit dem Pupperich eine Identitätsfindung als Mann zu erleichtern. Er hat es gelassen. Dies muss als OSKARs vorweihnachtlicher Beitrag zur Geschlechterziehung reichen. Wunsch ist Wunsch!

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