Montag, 7. Dezember 2009
Die Tochter des französischen Gesandten
Dieser Tage hat OSKAR auf dem Flohmarkt ein paar gut erhaltene Bücher gekauft. Eines davon wurde von Thomas Einfeldt geschrieben. Er ist Hamburger, Zahnarzt, Hobbyschriftsteller. Wobei sich niemand in die Irre führen lassen sollte. Wo dem Wort 'Hobby' oft etwas amateur-, um nicht zu sagen, stümperhaftes innewohnt, schreibt Einfeldt packend, mitreißend, gut recherchiert und mit Lust am Detail.

Die Tochter des französischen Gesandten. Ein Roman aus der Zeit Napoleons, erschien 2004 bei Pieper und spielt im frühen 19. Jahrhundert in Hamburg, zur Zeit der napoleonischen Besatzung.

Es sind zwei – naturgemäß sehr unterschiedliche – Sichtweisen auf das besetzte Hamburg, die hier erzählt werden. Auf der einen Seite diejenige des Clemens Maiboom. Spross einer eingesessenen Kaufmannsfamilie, erfährt er die Widrigkeiten und Folgen der Besatzung für die Stadt Hamburg und ihrer stolzen Einwohner sowie die Folgen der Kontinentalsperre und der restriktiven Handelsvorschriften der Franzosen und die damit verbundenen Hürden für seine Familie und die anderen Händler, die ihren Geschäften nurmehr unter großen Schwierigkeiten nachzugehen vermögen. Clemens, anfangs noch sehr im Schatten seines Vaters und seines Bruders stehend, gelingt es durch List und Klugheit, mit Wagemut und Glück dennoch, Waren zu schmuggeln und zu verhandeln. Auf diese Weise vermag er substantiell zum Fortbestehen des Handelshauses beizutragen und aus dem Schatten seines Vaters zu treten.
Neben seinen Geschäften wendet sich Clemens als aufrechter Bürger gegen die Besatzung dieser ehedem freien und stolzen Stadt. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich in inneren Zirkeln von patriotisch gesinnten Bürgern wiederfindet, um über Maßnahmen gegen die Besatzung zu beraten und eventuell auch aufzubegehren.

Zugleich gelangt er durch glückliche Umstände und Zufälle in die gehobeneren Kreise der Stadt, lernt hier auch Vertreter der Diplomatie und Repräsentanten der französischen Besatzer kennen. Während einer Gesellschaft trifft er so auch auf die Tochter des Gesandten Gauthier, die eigenwillig und bestrebt, ein eigenständiges Leben zu führen, der Pariser Behütetheit zu entrinnen versuchte, indem sie ihrem Vater nach Hamburg gefolgt war.
Clothilde, ihrerseits aufrechte Französin und von den edlen Motiven eines Napoleon durchdrungen, begegnet dem jungen Maiboom zunächst skeptisch. Schließlich aber finden die beiden jungen Menschen zueinander und lernen sich lieben. Dass diese Liebe keine einfache ist, ergibt sich gleich aus mehreren Umständen. Zuvörderst wurden für Sprösslinge aus gutem Hause die Ehen arrangiert - in Hamburg wie auch, aller Aufklärung zum Trotz, in Paris.

Zugleich wird hier die Geschichte einer Verbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher und politischer Systeme erzählt, in dem beide Liebenden zugleich aufrichtig das System vertreten, dem sie entstammen.
Mit der Zeit entdecken beide auch das Positive am Standpunkt und System des anderen. Es stürzt beide in existentielle Fragen nach der eigenen Verortung beziehungsweise der Rechtmäßigkeit der Besatzung: Clemens sieht Gutes im administrativen Geschehen der Franzosen, Clothilde erkennt zunehmend die Verlogenheit hinter den hehren Idealen, die nur noch mäßig die Ausbeutung der Stadt Hamburg und ihrer Bürger zu verschleiern vermögen.

Der Autor bettet seine fiktive Handlung gekonnt in einen historischen Zeitrahmen (Herbst 1807 bis Mai 1814), die er mit detailliertem und sauber recherchiertem Wissen um das Funktionieren der Gesellschaft um das beginnende 19. Jahrhundert anreichert. Er zeichnet ein lebendiges Bild der Zeit, webt dabei historisch fundiertes Wissen um Stände, Wirtschaftsgeschehen, Architektur, Gesellschaft und Politik, Selbstverständnis verschiedener Bevölkerungsgruppen zu einem farbenfrohes Mosaik. Der Leser wird Teil dessen und fühlt sich als stiller Beobachter, ja, Teilhabender des Geschehens - etwa, wenn der Zahnarzt (mithin ein Standeskollege des Autors) seinen Patienten mit - damals - moderner Technik behandelt.

Lediglich an wenigen Stellen langweilt diese Detailfülle; so kann der dem Segeln nicht Kundige schnell genervt sein, wenn der Autor mit Fachtermini der Segelei und Schifffahrt über zwei Seiten die Dramatik eines Gewitters für die Besatzung eines Seglers schildert. Abgesehen von solch kleinen, aber leicht zu überblätternden Passagen, bietet dieser Roman größtes Lesevergnügen und sei an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Und das nicht nur, weil am Ende sich Hamburg wieder als freie Stadt dem Handel zuwenden kann und schließlich auch die beiden Liebenden einander glücklich in die Arme schließen dürfen!

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