Samstag, 26. Juni 2010
Hochzeiten sind Leidenszeiten: De-Emanzipation
OSKAR befindet sich nun in einem Alter, da sich seine Freunde in einem Alter befinden, in dem die Herren der Schöpfung den weiblichen Erwartungen gerecht werdend erst in und danach auf die Knie gehen, die Damen - Emazipiertheit hin oder her - weich werden und ihn da haben, wo sie ihn haben wollen: im Sack. Um den alsbald zuzubinden, geht dann alles ganz schnell: Hochzeitstermin organisieren, Gästeliste aushandeln, etwas "irgendwie total Besonderes" als Ort des Geschehens ausgucken, die Hochzeitsreise - auch wieder "'was irgendwie total Schönes und nichts, was alle machen" - buchen. Auf dem Weg dahin gibt's viele Hürden. OSKAR weiß das aus eigener Erfahrung; zum Teil erübrigt sich beim Reißen einer dieser Hürden die ganze weitere Planung und ohne über Los zu gehen, fängt wenigstens einer von beiden wieder bei Null an. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nun sind es also OKSARs Freunde bzw. die Freunde seiner Freundinnen, die dem stillen Drängen ihrer Liebsten nachkommen und endlich den so genannten Bund des Lebens anbieten. Vielfach ahnen sie dabei nicht, dass sie - Frauen sind einfach furchtbar viel geschickter als Männer - in diesem Tun überhaupt einem weiblichen Drängen nachkommen. Mithin glauben die Typen ernsthaft, es sei ihrem eigenen tiefen Empfinden entsprungen und sie überraschten ihre Freundinnen mit dem Antrag. Nun gut, OSKAR ist zu erfahren in diesen Dingen, zu vertraut mit der Menschlichkeit (= Schlechtigkeit) weiblicher Wesen, als dass diese Tatsache ihn weiter betrüben könnte. Letztlich werden bei den Frauen eben die archaischen Urinstinkte wach, die Uhr beginnt zu ticken und mit jedem minimalen Vorrücken der biologischen Zeiger wird das Verlangen nach Sicherheit, Beschützer und Ernäher, idealem Genmix für die Brut bedeutsamer und tritt die Zielsetzung eigener, selbstverwirklichender Emanzipiertheit zurück, erkennend, dass weder sie selbst und ihre Männer schon gleich gar nicht immerzu gleich sein wollen.

Beim Schreiben dieser Zeilen fällt OSKAR eine hierzu passende Textstelle des Romans Der Mann schläft ein*:

Von meiner früheren, naiven, unhinterfragten Solidarität mit Frauen war nicht mehr viel übrig. Gerade die Damen, die viel von ihrer Emanzipiertheit sprechen, sind von wirklicher Freiheit so weit entfernt wie der Regen draußen davon, sich in Sonnenschein aufzulösen. Wenn sie merken, dass es wirklich anstrengend ist, in eine Position zu gelangen, in der man die Welt minimal beeinflussen kann, entscheiden sie sich fast immer gegen die Verantwortung. Gegen die Machtkämpfe und Ungemütlichkeit, gegen die unglamouröse Forschung, die öde politische Arbeit, die unangenehme Aufgabe, Menschen zu entlassen, und werden schwanger oder machen etwas Kreatives, etwas mit Sprache, weil Frauen ja so gut reden können. Und dann sitzen sie in Cafés und quatschen über Rolfing und lesen Frauenzeitschriften, die von Frauen gemacht werden, die lieber dumme Sätze über anorektische Filmstars schreiben als echte Informationen oder Texte, die den Leser anstrengen, ihm eine Idee schenken. Dann kommen sie in die Wechseljahre und heißen Imke oder Claudia und fallen in hormonell bedingte Depressionen, ihr Leid schreiben sie aber den Männern zu, die sie am Fortkommen gehindert hätten. Und wenn sie die Wahl haben, dann nehmen sie immer einen erfolgreichen großen Partner, die Biologie, Sie wissen schon. Ohne nachzudenken, verraten sie all die Ideen, die ein paar wirklich freie Damen gehabt haben, die sich aufgemacht haben, um dafür zu kämpfen, damit sich nun ein neues Heer von faulen Weibern auf ihren halbverstandenen Ideologien ausruhte, von denen sie nur Überschriften zitieren. Ihr kleiner Verstand träumt von wilder Leidenschaft mit einem Cromagnon und der Ehe mit einem Mann, der morgens das Haus verlässt, das sie dann mit blütenweißen Gardinen und guterzogenen Kindern schmücken. Vermutlich bekommen die meisten genau das, was sie sich kraft ihres Geistes verdient haben. Die Zeiten, in denen ich Menschen mochte, waren definitiv vorbei.

(aus: Sibylle Berg, Der Mann schläft, S. 173-175)

[* Eine Anfrage beim Verlag, ob diese Textstelle hier wiedergegeben werden darf, blieb trotz wiederholter Nachfrage letztlich unbeantwortet, was die Vermutung nahelegt, dass es okay ist.]

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