Donnerstag, 18. Februar 2010
Sozialkontrolle
OSKAR kommt ursprünglich vom Land, beschaulich und übersichtlich. Auf Dauer war ihm das aber doch zu wenig. Vor allem die weit verbreitete Geisteshaltung, welche sich perfekt in den – tatsächlich auch oft zu hörenden - Aussprüchen wie „Was der Bauer nicht kennt, das (fr)isst er nicht“ oder „Wieso? Das haben wir schon immer so gemacht!“ ausdrückt, machte ihm das dauerhafte Wohnen im nordwestlichen Ostwestfalen mit zunehmender Reife anstrengend.
Er machte sich auf, zwar nicht die Welt, aber doch Nordwesteuropa zu erkunden, und schließlich verschlug es ihn in die Stadt am großen Fluss. Hier wohnt er seit inzwischen drei Jahren, zufrieden und sich zu Hause fühlend. – Nun ist die Stadt am großen Fluss größer, weltläufiger, offener, liberaler als sein Ostwestfalenstädtchen. Ihre Bewohner sind trotz der ihnen unterstellten hanseatisch-norddeutschen Distanziertheit für OSKAR prima Mitbürger. Letzteres mag allerdings auch daran liegen, dass der gemeine Ostwestfale wohl noch distanzierter, kühler, um nicht zu sagen: dickschädeliger ist und OSKAR diesen Menschenschlag also bereits kennt.
Eine Ausgeburt an Urbanität ist aber auch die Stadt am großen Fluss nur bedingt. Und exakt das ist es, was OSKAR hier so gut gefällt: Die Häuser reichen nicht bis in den Himmel, trotzdem dieser häufig regenwolkengeschwängert besonders tief hängt, keine Untergrund- sondern Straßenbahnen zuckeln durch die kopfsteingepflasterten Straßen, und die Abstände innerhalb der Stadtgrenzen sind für Radfahrer bestens geeignet. Städtisches verbindet sich – zumindest in seinem Viertel – zudem mit menschlichem Antlitz. Insbesondere diesen Aspekt schätzt OSKAR und hat ihn andernorts im Gegensatz zu seinem Heimatstädtchen dann doch vermisst: gelegentliche unvermittelte Begegnungen auf der Straße oder beim Einkauf, das freundliche Herüberwinken der Kioskfrau, der Frisör von gegenüber, der OSKARs Pakete annimmt oder als Schlüsselübergabe funktioniert, wenn Freunde von OSKAR zu Besuch kommen. Im Buchladen wird er mit Namen begrüßt und die Bäckersfrau greift direkt zum Dinkelvollkornbrot, wenn er den Laden betritt. Soziale Gefüge, die er zu schätzen weiß.
In dieser kleinen Welt marschierte OSKAR dieser Tage morgens früh gegen acht zur Straßenbahnhaltestelle, dabei den Discountsupermarkt passierend. Aus den Augenwinkeln sah er den türkischen Gemüsemann mit einem Einkaufskorb voller Gurken und Lauchzwiebeln den Laden verlassen und in seinem direkt daneben liegenden Onkel-Ali-Gemüsemarkt verschwinden. Durch dessen große Schaufensterscheiben beobachtete OSKAR, wie er die soeben erstandenen Gurken und Zwiebeln in seine eigene Auslage füllte. Einen Preisvergleich hat OSKAR nicht angestellt; er musste aber schmunzeln bei dem Gedanken, wie viele seiner eigenen Bekannten das besonders gute, weil frische Gemüse und Obst nur beim Gemüsetürken kaufen… Ein Hoch aufs Supermarktgemüse!

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Montag, 15. Februar 2010
Wie durch ein Nadelöhr
In den vergangenen zehn Jahren wurden sie zum Glück stärker als zuvor ins Bewusstsein gerückt: Zeugen, die der Fratze des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts ins Gesicht hatten sehen müssen, Leid, Tod, Hunger und Schrecken erfahren hatten. Jede und jeder von ihnen hat eine eigene Geschichte, die zu erzählen manche von ihnen nicht müde werden. In unzähligen Gesprächen im Familien- oder Bekanntenkreis, bei Besuchen in Schulen oder in Jugendgruppen erzählten sie ihre Geschichte, die so sehr Teil ihrer eigenen Biografie ist. Abseits der Kriegsschauplätze oder der großen Daten, die es ins kollektive Gedächtnis schaffen und in die Kalender der, mit Verlaub, Gedenkindustrie, sind es gerade diese individuellen Erfahrungen, die denjenigen, die eben nicht dabei waren, das Leben jener Zeit näherbringen und veranschaulichen helfen, wie "es denn nun damals gewesen war".

Diese Menschen sterben allmählich, aber es ist ihr Verdienst, nicht (nur) mit moralischen Zeigefingern erzählt, sondern vielmals auch in Essays, Artikeln oder Büchern ihre Biografien und Erlebnisse festgehalten zu haben. Eines dieser Bücher wurde von Carlotta Marchand geschrieben: Wie durch ein Nadelöhr. Erinnerungen einer jüdischen Frau.
Carlotta Marchand, 1918 in Belgien als Tochter ungleicher Elternteile geboren und in Den Haag aufgewachsen, ging als jüdisches Kind zur deutschen Schule und erlebte alsbald erste Repressalien, später dann die Deportation ihrer Familie. Sie selbst überlebte im Versteck. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 engagierte sie sich gegen das Verdrängen und Vergessen; insbesondere besuchte sie Schulen im deutschsprachigen Raum.

Carlotta Marchand hält in ihrem Buch, Originaltitel: Door het Oog van de Naald einerseits Rückschau auf ihr Leben, andererseits kommentiert sie die eigene Vergangenheit und Gegenwart zuweilen heiter, meist aber lakonisch, trocken, nicht selten mit bissiger Ironie. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sollte es 35 Jahre dauern, ehe sie sich an die Niederschrift ihres Manuskripts wagt; nicht zuletzt ausgelöst durch Fragen nach Identität, Lehren aus der Vergangenheit, ihrem Verhältnis zu allem, was 'deutsch' war/ist...

In 34 Kapiteln, jeweils zwischen zwei und fünf Seiten, wirft sie Schlaglichter auf ihr Leben. Neben einem knappen Abriss ihrer Familie und Kindheit richtet die Autorin ihr Hauptaugenmerk auf ihre Erlebnisse unter der braunen Besatzungsmacht. Die Deportation ihrer Eltern, ihr Untertauchen, die innige Beziehung zu ihrem Ehemann. Carla Marchand schreibt im niederländischen Original schlicht, nüchtern, treffend, dabei immer ihre subjektive Sicht vermittelnd, nicht aufdrängend. Das Ende des Buches, und das ist das große Verdienst, welches dieses Buch so besonders macht, liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft: mit derselben scharfen Feder, mit der sie über ihre Kriegs- und Verfolgungsgeschichte schreibt, zieht sie die Linie bis in die Gegenwart, das heißt bis ins Jahr 1981 (Erstausgabe). Sie berichtet von ihren Erfahrungen als Zeitzeugin in den Niederlanden und Deutschland, beschönigt nichts, verhehlt auch nicht, dass sie den Deutschen vielfach - und in gewisser Weise leider zurecht - nach wie vor misstrauisch gegenüber tritt. Dennoch, oder gerade deswegen, sieht sie sich in der Pflicht, auch in Zukunft weiter zu berichten, zu erzählen, zu offenbaren, gegen das Vergessen anzugehen. - Nach ihrem Tod bleibt ihr Buch als starkes Stück, das weit mehr ist als Mahnung. Es ist ein Aufruf zu Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt!

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Mittwoch, 10. Februar 2010
Mord!
OSKAR hat eine Mitbewohnerin. Das wusste er. Die zahlt auch Miete und putzt. Außerdem hat OSKAR Untermieter, deren Zahl er nicht so genau kennt, sich aber ziemlich sicher ist, dass deren Hauptsorge sicher nicht in einem demographischen Wandel zu suchen ist. Eher in der Frage, wo es noch leckereres Holz gibt, durch das man sich fressen könnte. Genau: OSKAR hat Holzwürmer. Nicht im Kopf, der scheint wider Erwarten doch nicht aus Holz oder zumindest aus zu hartem Holz zu bestehen. In einem seiner alten Möbel - zum Glück nicht in dem, das er liebevoll renoviert - ist es nicht mehr zu übersehen. Überall sind sie zu finden: Kleine Hügelchen allerfeinsten Sägemehls, die diese nicht zahlenden, dafür aber schmarotzenden Mitbewohner hinterlassen. "Wer nicht zahlt, fliegt raus!" Das hat er ihnen mehrfach gesagt und auch durch Klopfzeichen signalisiert. Geblieben sind sie doch. Er hatte ihnen Fristen gesetzt, die letzte ist jetzt verstrichen. Da hilft nur noch eins: MORD!

Gestern war OSKAR im Baumarkt. Nicht kleckern, klotzen. Foglich hat er nun einen knappen Liter HOLZWURM-EX gekauft, den er den Biestern in ihre Gänge spritzen wird.
Eine für OSKAR indes unerwartete Hürde bestand allerdings in der Beschaffung des Spritzwerkzeugs. In diversen Drogeriemärkten gefragt. Höchstens Blicke geerntet, die zwischen Mitleid und fragendem Schweigen, dass der junge Mann doch gar nicht so aussieht wie ein Junkie, schwankten. Heute dann die Apotheke. Zugegeben, er wohnt in einem Viertel, in dem es das gibt, was Politiker als 'Drogenproblem' bezeichnen. Dass ihm die Apothekenfrau dann aber sagte, dass sie hier aufgrund just dieser Tatsache "nur sehr ungern Spritzen verkaufen", hat ihn dann doch überrascht. Er hat sein Anliegen geschildert. Nachdem sie ihm ein paar Fragen gestellt hat, er ihr sogar glaubhaft machen konnte, dass er keine Nadel benötige und - im Gegenteil sogar - das an der Spritze befindliche Gewinde, in welches die Nadel geschraubt wird, abtrennen würde, gab sie ihm dann eine Spritze. Nicht unfreundlich, übrigens. Das beste: er hat sie sogar geschenkt bekommen! Hehe, wenn das mal nicht Beihilfe zum Mord ist...

Jetzt wird OSKAR also zur Tat schreiten und in jedes dieser Löcher einen ordentlichen Schuss dieses liebreizendes Untermietervernichtungsmittels geben. Mal gucken, ob es ab Samstag noch neuerliche Sägemehlhäufchen geben wird!

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