Dienstag, 16. Juni 2009
Wiedersehen

GENUG OFT

Genug oft, dass zwei Menschen sich berühren,
– nicht lieblich, geistig nur – dass sie sich sehn,
dass sie sich einmal gegenüberstehn –
um sich danach vielleicht auf immer zu verlieren.

Genug oft, dass ein Lächeln zweier Seelen
vermählt – oh, nicht vermählt ! nur dies: sie führt,
so vor einander schweigend und erschüttert,
daß ihnen alle Wort’ und Wünsche fehlen,
und jede, unaussprechlich angerührt,
nur tief vom Zittern der verwandten zittert.

(Christian Morgenstern)



Wie ein Wiedersehen wohl ablaufen würde? Keine Erwartungen, kein Druck; Neugier auf beiden Seiten, aber doch auch banges Fragen, wie es wohl werden würde. Es waren aufregende Wochen, wenige Monate nur, in der die V-Frau und OSKAR einander begegneten, sich sahen, in denen sie voneinander fasziniert waren und in unterschiedlichem Tempo sich aufeinander einzulassen bereit waren. Es war ein Abschied, ein unbewusster, ein so von beiden nicht gewolltes „Adieu“. Und dennoch wussten sie beide, spürten sie beide, dass sie einander verbunden waren, weil sich ihre Seelen begegnet waren, wie dies nicht oft zwischen Menschen geschieht. Allzumal nicht zwischen Menschen, die sich erst so kurz und auch so wenig kennen. Dieses tiefe Einverständnis dauerte fort, ohne, dass sie einander großartig sprachen oder gar von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden hätten.
Und nun, in Genf, sollte es zu einem Wiedersehen kommen. Konnte es da überhaupt sein, dass weder sie noch er Erwartungen an- oder gewisse Hoffnungen aufeinander hegten?
Sie verbrachten ein langes, gemeinsames Wochenende. Und für beide, die V-Frau wie für OSKAR war es mehr als einmal so, als seien sie sich schon seit Jahren vertraut wie es sonst nur beste Freunde sein können. Keine verschämten oder genanten Blicke oder ausweichende Antworten auf Fragen, die das Innerste berührten. Keine Scheu, von eigenen Gefühlen und Gedanken zu erzählen, die einen antreiben, umtreiben, nicht zur Ruhe kommen lassen. Zugleich erlebten sie beide eine Leichtigkeit in diesen Tagen, die OSKAR seit langem nicht mehr verspürt hat. Da war viel Lachen, Scherzen, Quatsch und Unsinn, sie entdeckten Teile und Zeiten der Stadt, die OSKAR noch fremd waren. Und immer begegneten sie sich auf Augenhöhe. Ihr Umgang war geprägt von einer tiefen, fast geschwisterlichen Zuneigung, die sie beide ruhig werden ließ. Ihr Zusammensein als auch die Stadt, die sich unter einer hellen Sonne in ein mediterranes Gewand gehüllt hatte, bot ihnen beiden eine Insel der Ruhe und Entspannung inmitten zweier aufgewühlter Leben, in das sie nun zufriedener und gelassener zurückkehrten. Kann Freundschaft mehr sein?

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Montag, 8. Juni 2009
Nachhaltiger Schwachsinn
Nachhaltig. Alles muss heutzutage „nachhaltig“ sein. Aber was bedeutet das denn eigentlich? Vermutlich glauben Kunden (nachhaltig), dass alles, was irgendwie nachhaltig ist, dann auch irgendwie ‚edler‘ ist. Klingt ja auch gut. - Aber schon mal darüber nachgedacht, dass nachhaltig etwas mit nachhalten, also zurückhalten, bestehend bleiben zu tun hat? In diesem Sinne musste OSKAR sehr schmunzeln, als er in einem Prospekt einen sog. Artikel über „nachhaltiges Bauen“ las. Ja, HOFFENTLICH ist Bauen nachhaltig – denn sonst würde das ja im Umkehrschluss bedeuten, dass das, was da gebaut wurde, binnen kürzester Zeit wieder verschwindet, kaputt geht oder sonstwie kurzlebig wäre. Sein absoluter Favorit, weil eine freud’sche PR-Leistung: der nachhaltige Holzeinschlag, mit dem der Hersteller von Gartenmöbeln etc. dem umwelt-, natur- und überhaupt bewussten Kunden entgegen aller Warnungen sämtlicher umweltbewegten Verbände und Vereinigungen à la Greenpeace zu suggerieren versucht, die Nutzung von Tropenholz sei in diesem Fall unbedenklich. In der Tat mag er versucht sein, das Bild einer nachhaltigen Holzwirtschaft zu zeichnen. Der Realität näher kommt aber wohl doch vielfach der nachhaltige Holzeinschlag, bei dem eben nachhaltig vieles kaputt gemacht wird… Der innere Antrieb zum Protest ließ OSKAR gestern FastFood kaufen und verspeisen. Da ist nix Nachhaltiges dran oder drin. Jeder rebelliert eben, so gut (oder schlecht) er kann!

Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem von zumindest den deutschen Verbrauchern so innig geliebten Attribut „bio“. Biologische Erzeugnisse… Was bedeutet das, abgesehen vom Preisunterschied, eigentlich für die Kekse, auf deren Preisschild diese drei seligmachenden Buchstaben fehlen? Biologisch heißt, dass es die Biologie, also die „Wissenschaft von der belebten Natur u. den Gesetzmäßigkeiten im Ablauf des Lebens von Pflanze, Tier und Mensch“ betrifft bzw. etwas aus natürlichen Stoffen hergestellt ist. Ob nun aber Kekse (vor Ablauf der Verzehrfrist) ‚belebte Natur‘ darstellen oder nur aus ‚natürlichen‘ Stoffen zu ihrem endgültigen Dasein heranreiften, sei angezweifelt.

Ein Wort gänzlich anderer Natur, bei dem OSKAR nicht versteht, warum nicht schon längst ganze Heerscharen hypersensibilisierter political-correctness-Fetischistinnen und –fetischisten dagegen mobil machen, ist das in den Parkhäusern so gern verwendete „Frauenparkplatz“. Ein LKW-Parkplatz für LKW, ein Bus-Parkplatz für Busse, … Möglich natürlich auch, dass die ursprüngliche Intention von Stadt- resp. Parkhausplanern ein völlig andere war und wir diesen Begriff also in der Tat von seiner ursprünglichen Idee abweichend mit blechernem Inhalt füllen statt dortselbst die Frauen zu parken, während die Herren, weil es schnell gehen muss, allein in die City gehen!

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Sonntag, 7. Juni 2009
Das Leben des Historikers
Dass die Welt der Historiker nicht unbedingt OSKARs ist, wurde ihm in Genf einmal mehr deutlich. Sein tägliches Dasein fristet er momentan im Archiv, was in diesem speziellen Fall alles andere als dunkel, feucht oder gar schimmelig ist. Hohe Decken, große Fenster, fantastischer Ausblick und ebenso freundliche wie kompetente (in der Kombination wahrlich selten anzutreffen!) Mitarbeiter machen die Recherchen überaus angenehm. Lediglich die anderen sich dort aufhaltenden Archivheinis und -trusen sind in der Regel für seinen Geschmack einfach – merkwürdig. Mindestens! Gestalten sind das... Vor allem die super engagierte PhD-Studentin italienischer Herkunft, die aber in New York promoviert, ist ETWAS anstrengend. Da braucht man schon mal DREI Arbeitsplätze, you know!?, um ordentlich zu recherchieren. Und wehe, wenn dann eines anderen Kladde ungefähr 4,3548 cm auf einen ihrer Tische rüberragt... Hui, die Dame hat OSKAR sein Zeug derart energisch über die Grenze geschoben (aber dann auch keinen Milimeter weiter), dass er schon überlegt hatte, sich anderntags mit Archivboxen einzumauern, damit nicht wieder irgendwelche seiner Kladden Tischflucht betreiben und in fremde Hoheitsgebiete eindringen können! Nachher würde sie ihn noch mit ihren gelben Zetteln, die sie überall hinklebt, bewerfen – ach was: bombardieren, brandmarken. Oder sie würde ein Gewitter ihrer superduper-garantiert-extra-für-archiv-arbeit-gemachten Digitalkamera mit integrierter Forscher-Nahkampf-Blitzanlage auf ihn abfeuern.
Anderntags – von einem gänzlich anderen Ort, der in keinster Weise auch nur minimale gemeinsame Grenzverläufe mit den Ufern ihrer ausufernden Recherchegebiets aufwies – wurde OSKAR sich der brenzligen Situation insgesamt bewusst: sie ist (Italien => natürlich) Katholikin! Allerdings nicht so ein bisschen, wie man halt katholisch ist, wenn man aus Italien kommt, sondern so richtig! Wer sonst würde a) als Desktophintergrund ein Marienbild, b) als Bildschirmschoner diverse Marienbilder haben, c) irgendwas mit Polen forschen und d) die Weltöffentlichkeit dafür kritisieren, dass diese es wagt, die Rede des Papstes in Jerusalem zu kritisieren... Mei-o-mei... – Inzwischen ist von ihr nichts mehr zu sehen. Allerdings gibt's eine Nachrückerin, die noch viel heftiger ist – und auch eine noch bessere Digitalkamera hat... – OSKAR.HAT.ANGST.VOR.DERART.TOUGH-STRAIGHTEN.FRAUEN!

Nur ist's draußen, vor den Toren der UNO, ja nicht besser. Kürzlich demonstrierten da einige hundert Tamilen. Die hatten sich in den Kopf gesetzt, den Sicherheitsdienst der UNO derart zu reizen, dass das ganz große Rad gedreht wurde: alle Mitarbeiter und Gäste wurden aufgefordert, den Platz vor eben jenem Ausgang zu meiden, ihre Namensschilder, die sie als UNO-Leute ausweisen, direkt nach Verlassen des Geländes zu verbergen, die nationale Polizei war mit einigen Dutzend Kampfpolizisten angerückt, überall lagen Wasserschläuche mit Spritzdüsen vor und hinter den Zäunen der UNO – vermutlich, um etwaige Tamilen, die zum Sturm auf die UNO ansetzen würden, ganz einfach wegzuspülen. Nun war es sicher nett vom UNO-Sicherheitsdienst, darauf hinzuweisen, dass man den Platz vor der UNO meiden sollte - WIE er aber nach Hause kommen sollte, wenn er kein dekadentes UNO-Gehalt und mithin auch kein Auto hat, das ihn mal eben einen riesen Umweg locker hinnehmen lässt, haben die Brüder nicht gesagt - folglich musste er also dorthin, mitten in den Hexenkessel, weil da die Busse und Trams abfahren. Alles wogte zwischen Polizeiautos, Wasserwerfen und Krankenwagen; eine gewisse aggressive Stimmung über allem war nicht zu verkennen.
Zwar fand OSKAR das Angebot der schweizerischen Polizei, ihm eine Gratisdusche zu verpassen, durchaus nett. Angesichts der morgendlichen Hygiene war die aber nicht nötig, so dass er es vorzog, sich dem Wasserwerfer, der aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war, zu entziehen und sich durch die Büsche Richtung Tram zu schlagen. Auf die Weise musste er sich zwar dem ein oder anderen Stein bzw. der ein oder anderen gefüllten Wasserfalsche ausweichen, deren Flugbahn falsch berechnet worden war und mithin nicht den Wasserwerfer oder Polizisten, sondern mehrfach beinahe ihn trafen, aber nass ist er zum Glück nicht geworden. Und sein Laptop auch nicht... Alles höchst aufregend hier... Soll noch einer sagen, das Leben eines Historikers böte keine Risiken: Innerarchivalisch-animalische Grenzgefechte und demonstrierende Tamilen in Genf, Archiveinstürze in Köln, ... – OSKAR wird schon deshalb froh sein, wenn er eines Tages sich einem neuen Aufgabengebiet zuwenden kann!

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