Mittwoch, 15. Februar 2012
Der Mann im Strom
Gelegentlich fallen im Buchregal Bücher auf, die schon vor langer Zeit geschrieben, seither aber von ihrem Besitzer noch nicht gelesen wurden.

So ein Werk ist zum Beispiel Siegfried Lenz' Der Mann im Strom. Bereits im Jahr 1957 erschienen, zeichnet dieser Roman auf etwa 150 Seiten die Lebenswirklichkeit eines Tauchers, der in seinem Beruf alt geworden ist und aufgrund der gesetzlichen Vorgaben bald nicht mehr als Taucher arbeiten darf. Nach jahrelanger Tätigkeit unter Wasser haben die damit einhergehenden Belastungen Spuren am und im Körper hinterlassen. Der Taucher ignoriert diese Warnzeichen und setzt alles aufs Spiel, um seine Arbeitserlaubnis zu behalten: er fälscht sein Geburtsdatum. "Er tut dies mit der Entschlossenheit und Überlegung eines Mannes, der seine letzte Chance wahrnimmt," wie es im Klappentext zum Buch heißt.
Die Geschichte ist knapp geschrieben, den Lebensumständen und dem Charakter des Mannes entsprechend. Karg, entschieden. Weder Lenz noch seine Romanfigur machen viele Worte. Gerade darum aber entfaltet der Roman eine große Kraft, bietet Hinrichs in seiner hanseatischen Verlässlichkeit einen Kompass für menschlichen Anstand, zeigt sein Verhalten das Dilemma in dem er sich befindet: die Notwendigkeit, für seine Kinder und sich zu sorgen und den ihm gesetzten Grenzen. Indem Lenz zugleich die Geschichte eines jüngeren Mannes erzählt, der an Hinrichs Tochter interessiert ist und sich alsbald als ebenso schmieriger wie windiger Charakter entpuppt, stehen sich pars pro toto zwei Typen einer Gesellschaft gegenüber. Lenz macht deutlich, wem seine Zuneigung gilt ohne aber das Leben dieses Hinrichs zu einem heldenhaften zu stilisieren. Es ist ein ruhiges, ein nachdenkliches Buch, das in Zeiten von - wenngleich inzwischen leiser werdendem - Jugendwahn und verwässernder Familien- und gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen nach wie vor zum Innehalten und zur Reflektion einlädt.

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