Montag, 31. August 2009
Abschiede
Es ist ein guter Sommer gewesen. OSKAR hat unzählig viele schöne Stunden in der Sonne gesessen, hat sich Gesicht und Seele bescheinen und dadurch sein Gemüt aufhellen lassen. Es war ein großer Sommer, der für ihn viele Erlebnisse und Erfahrungen bereit gehalten hat; auf seinem Weg durchs sommerliche Genf durfte er Menschen treffen, die ihn begeisterten, nachdenklich machten, die ihm zu einer lange nicht gespürte Leichtigkeit verhalfen.

Nun wehte der Wind den Herbst übers Land. Der Himmel ist von anderer Farbe, der Bäume sattes Grün ist einem beginnenden Verfärben gewichen, die Schatten werden wieder länger, der Himmel rückt ein Stück näher an die Erde. Die Luft duftet morgens nicht mehr nach Sommer, sondern bereits nach Herbst. Es ist die Zeit gekommen, die den Sommer vom Winter trennt - für OSKAR in vielerlei Hinsicht die schönste Zeit des Jahres. Bunt, nachdenklich, wunderschön und voller Vielfalt. Und dennoch kommt bei ihm Wehmut auf, schwappt gelegentlich eine Welle der Melancholie durch seine Seele. Mit jedem zu Boden sinkenden Blatt, mit jedem Tag, an dem die Dämmerung früher einsetzt, wird der Abschied des Sommers manifest.

Vor wenigen Tagen erst wurde es OSKAR wieder bewusst, dass nun der Sommer zu Ende geht. Es lag ein anderer Geruch, der des Herbstes, im Wind. Es mag pathetisch klingen; doch es wunderte ihn nicht, als er heute vom Tod seiner alten Nachbarin erfuhr. Sie war weit über achtzig Jahre geworden. Sie war eine Großmama für ihn, voller Humor. In den letzten Jahren waren ihre Begegnungen seltener geworden. Bei jedem Besuch der Eltern aber führte ihn sein Weg unweigerlich auch nach nebenan auf einen 'Plausch'. Es war der alten Dame eine willkommene Abwechslung - und für OSKAR war es eine Rückkehr in seine Kindheit. Nichts hatte sich in ihrem Haus verändert, das Ticken der alten Uhr über dem Sideboard, der Sessel mit dem Deckchen über der Armlehne. Das Blumengesteck mit der abgeknickten Zierkerze. Die Gardinen, der Geruch der Wohnung. - Nur die Nachbarin war im Laufe der Jahre älter geworden, ihre Züge wurden schärfer, ihre Lebenslust und -freude wichen von Besuch zu Besuch zunehmend aus ihrem Gesicht. Es war OSKAR oft, als habe sie mit ihrem Leben abgeschlossen, es gelebt. Sie erwartete nicht mehr viel, wenn überhaupt noch etwas, von ihrem Leben. Wann setzt das Sterben ein? - Vor wenigen Monaten wurde ihr Krebs diagnostiziert. Sie wollte keine weitere Behandlung; ihr einziger Wunsch: im Kreise ihrer Familie dem Ende entgegen zu gehen. Sie haben ihr diesen - beschwerlichen - Weg ermöglicht. Es ist Herbst. Diesmal fallen die Blätter etwas dunkler, schwerer zu Boden. Eine Seele mischt sich unter sie.

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